Mobbing in der Schule

Was kann man tun, wenn Mobbing in der Schule auftritt und wie kann es beendet werden?

von Christine Laude

Mobbing wird heutzutage wegen der schwerwiegenden Folgen mit zunehmender Sensibilität wahrgenommen, ist aber leider auch zu einer Worthülse geworden, die durch ihre häufige Verwendung und undifferenzierte Publikation in den Massenmedien zu keinem wirklichen Verständnis führt.
Dadurch tritt das Phänomen ein, dass trotz weitreichender Informationen, Mobbinghandlungen oft unerkannt und verborgen bleiben. Sie werden nicht identifiziert, nicht bearbeitet und führen oft zu großem Leid. Zusätzlich wird die Abgrenzung zu eher alltäglichen Konflikten erschwert, was zu weiterer Verwirrung beiträgt.
Mobbing wird sich auch in Zukunft nicht immer verhindern lassen und bleibt daher in der Schule ein schwieriges, die Lehrkräfte und gleichermaßen die Eltern herausforderndes Thema. Lehrer können sich hilflos fühlen oder sogar schuldig –„warum passiert das gerade in meiner Klasse, was hab’ ich falsch gemacht?“ – und Eltern sind verzweifelt oder wütend und fühlen sich oft von der Schule bzw. dem Kollegium allein gelassen.
Aber Mobbing muss nicht tatenlos hingenommen werden!
Es kann durch sinnvolles Intervenieren gut aufgelöst werden und damit allen Beteiligten wieder ein wertschätzendes Miteinander ermöglichen.

Zunächst gilt es jedoch die Tatsache anzuerkennen, dass folgende typische Annahmen NICHT stimmen:
– An unserer Schule gibt es kein Mobbing
– Mag sein, dass Mobbing an unserer Schule vorkommt, aber es ist harmlos
– Als Lehrer (Eltern) können wir nichts gegen Mobbing unternehmen
– Mobbing ist ein normaler Bestandteil des Aufwachsens.

Vielmehr gilt es das klare Signal zu setzen:
– Wir akzeptieren an unserer Schule keine Mobbing-Aktivitäten
– Wir bemühen uns stets um einen fairen, konstruktiven Umgang miteinander

Dies ist die Voraussetzung für alle weiteren Maßnahmen und kann z.B. in der Schulordnung oder den Schulregeln etc. schriftlich festgehalten werden.

Wir stehen in unserer Zivilgesellschaft mehr denn je an dem Punkt, uns ganz persönlich mit Interesse der Not der Zeit zuzuwenden. Es geht darum mutig Initiative zu ergreifen, Alternativen zu finden und sich für sie einzusetzen. Wir können und sollten dies auf gesamtgesellschaftlicher Ebene tun, aber auch im persönlichen Umfeld –  an dem Ort, wo wir arbeiten, leben und lernen.

Wann spricht man von Mobbing?

Mobbing = anpöbeln, bedrängen, angreifen

Die erste Verwendung des Terminus Mobbing geht auf Konrad Lorenz zurück, der den Begriff 1958 nutzte, um den Angriff einer Gruppe von Tieren auf einen Eindringling zu charakterisieren (vgl. Lorenz, Konrad 1988 „Hier bin ich – wo bist du? Ethologie einer Graugans“ München, Zürich). Der schwedische Arzt Peter-Paul Heinemann übertrug in Folge in den siebziger Jahren in seinen Studien bezüglich des Gruppenverhaltens von Schülern auf dem Schulhof, den Ausdruck Mobbing auf das menschliche Sozialverhalten (vgl. Leymann, 1995, „Der neue Mobbingbericht.“ Hamburg)

Erst der in Schweden tätige Psychologe Heinz Leymann jedoch legte mit seinem Buch Mobbing: „Psychoterror am Arbeitsplatz und wie man sich dagegen wehren kann“ (Reinbek : Rohwolt)
1993 den Grundstock für die Mobbingforschung im deutschsprachigen Raum.
Fast zeitgleich, in den 1980er-Jahren, begann der schwedisch-norwegische Professor für Persönlichkeitspsychologie Dan Ake Olweus mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung von  Mobbing und der Gewaltproblematik an Schulen und entwickelte erste Methoden der Prävention. Olweus unterschied dabei zwischen mittelbarer Gewalt (Mobbing) in Form von dauerhafter und absichtlicher Diskriminierung und unmittelbarer Gewalt (vgl. Olweus, D. 2000 „Gewalt in der Schule“ Bern). Er verwendete den im englischsprachigen Raum eher gängigen Begriff bullying = schikanieren, drangsalieren, tyrannisieren – der die typischen Mobbinghandlungen eigentlich charakteristischer beschreibt.
Sein Anlass war, dass drei norwegische Schüler nach anhaltenden Schikanen durch Gleichaltrige Selbstmord begangen hatten.
Bei seinen Untersuchungen stellte Olweus fest, dass nahezu in jeder Schulklasse Mobbing vorkam. Unabhängig vom Standort (Stadt oder Land) und unabhängig von der Schulform (Grundschule, Hauptschule, Gesamtschule, Gymnasium).
Auf pädagogische Gesichtspunkte bezogen ist es dabei erhellend, dass Mobbing in unteren Jahrgängen mehr als in höheren auftrat. Heute lässt sich beobachten, dass schon ab der 3. Klasse oder ab der Altersstufe von 9 Jahren Mobbingsituationen entstehen können.

Normale Konflikte sind im Allgemeinen nicht vermeidbar und entstehen, wo unterschiedliche Menschen mit verschiedenen Charakteren und Meinungen zusammentreffen und in engerem Kontakt miteinander stehen. Meinungsverschiedenheiten, vereinzelte Streitereien oder Späße auf Kosten eines anderen treten daher auf. Nehmen sie überhand, bedarf es eines energischen Arbeitens an einem wertschätzenden Umgang miteinander.

Konflikte sind prinzipiell auf eine Lösung hin orientiert; entweder wird diese positiv als Interessenausgleich gefunden oder destruktiv durch Gewalt erzwungen – der Stärkere siegt.

 

Mobbing bedeutet dagegen:

Schikanöse Handlungen werden systematisch und über einen längeren Zeitraum ausgeübt, um einen Mitschüler zu schädigen oder sein Ansehen herabzusetzen, um das eigene Ansehen aufzuwerten.
Im Extremfall ist es dabei das Ziel, den Betroffenen aus der Schule zu vertreiben.
Mobbinghandlungen verletzen die Würde des angegriffenen Schülers und führen zu einer erlebten Diskriminierung. Die Übergänge von Mobbing zu Gewalt sind dabei oft fließend. Mobbing bezeichnet daher eine subtilere Form der Gewalt.

Schüler, die durch gezieltes Untergraben des Selbstwertgefühles attackiert werden, verlieren das Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten, ihre schulischen Leistungen lassen nach und Isolierung und Einsamkeit können bedrohliche Züge annehmen.

Bereits in der Frühphase eines Mobbingprozesses treten beim von Mobbing betroffenen Schüler erste psychosomatische Beschwerden und Symptome auf. Diese sind z.B. Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Schweißausbrüche, Kreislaufprobleme, Magenschmerzen und Erschöpfungszustände. Oft begleitet von Angst in die Schule zu kommen, Leistungsabfall sowie

Rückzug aus Freundschaften bis hin zum Abbruch aller sozialen Beziehungen. Etwa nach einem halben Jahr können sich, neben immer stärker werdenden psychosomatischen Beschwerden und Krankheiten, auch ernste psychische Befindlichkeitsstörungen herausbilden.
Die Spätfolgen von Mobbing sind noch lange nicht ausreichend empirisch untersucht und wissenschaftlich aufgearbeitet, wir wissen aber aus vielen Berichten, dass die Auswirkungen u.U. ein ganzes Leben lang anhalten können.
Um feststellen zu können, ob in einem konkreten Fall Mobbing vorliegt, besteht heute ein Konsens bezüglich folgender 5 Kriterien. Wenn diese Kriterien gleichzeitig erfüllt sind, handelt es sich um Mobbing.

Mobbing ist gekennzeichnet durch:

– Ein desstruktives Verhalten (oft mehrerer Schüler), welches einen Mitschüler absichtlich schädigt
– Es passiert immer wieder (Wiederholung)
– Findet über einen längeren Zeitraum statt (5 Mal in Folge ist ausreichend)
– Richtet sich gezielt gegen den gleichen Mitschüler
– Welcher auf Grund der Übermacht unterlegen ist und sich nicht selbst aus dieser Situation „befreien“ kann.

Typisch ist weiterhin, dass verdeckt attackiert wird und keine Lösungen gesucht werden. Vielmehr ist der Angriff auf die andere Person selbst das Ziel.

Mobbinghandlungen können auf verschiedenen Ebenen stattfinden:

Sie verlaufen in den meisten Fällen auf verbaler Ebene ab: z.B.  über jemanden Witze machen oder beleidigen, hänseln, bloßstellen, ausgrenzen und Gerüchte verbreiten. Aber auch Schlagen, Schubsen, Festhalten oder Schädigungen gegenüber Sachen Dritter kommen regelmäßig vor.
Eine weitere Form ist das sogenannte Cybermobbing, indem Mobbing mittels Nutzung des Internets bzw. der sozialen Netzwerke ausgeübt wird.
In der Schule sind die Orte an denen Mobbing stattfindet, insbesondere Pausenhöfe, Toiletten oder der Schulweg. Aber auch im Klassenzimmer, wenn keine Lehrerinnen oder Lehrer anwesend sind, werden Aktionen durchgeführt. Je länger allerdings das Mobbing andauert desto eher findet es auch im Unterricht statt und desto unverhohlener und offener wird agiert. Bedingt durch den Gewöhnungseffekt erhalten dabei die Betroffenen immer weniger Unterstützung.

Wie entsteht Mobbing ?

Bei Mobbing handelt es sich um einen sehr komplexen Vorgang, der sich durch ein mehrdimensionales Ursachensystem auszeichnet. Auslösende Momente für Mobbing liegen dabei in der Interaktion unter Mitschülern, der Organisation der Schule, der sozialen Dynamik einer
Schulklasse, im Führungsverhalten des Lehrers und in Störungen auf der kommunikativen Ebene. (Werden zwischenmenschliche Probleme in der Schule nicht thematisiert und angemessen bearbeitet, bilden sie oftmals den Nährboden für Mobbing).
Mobbing ist daher als ein Gruppenphänomen anzusehen – es entsteht in der Gemeinschaft und funktioniert nur, wenn Mitschüler, Eltern und Lehrer wegsehen bzw. Mobbinghandlungen dulden!

Menschenkundliche Aspekte

Wie oben schon dargestellt wurde, tritt Mobbing vermehrt ab einer bestimmten Altersstufe auf, erreicht in der fünften, sechsten und siebten Klasse einen gewissen Höhepunkt und geht in den höheren Klassen wieder zurück. Allerdings ist auch anzumerken, dass Mobbingsituationen, wenn sie nicht bearbeitet werden, sich noch weit in die Oberstufe hineinziehen können.

Was ist die besondere Entwicklungssituation der Schüler in der Mittelstufe?

Als eine Grundtatsache, einfach indem wir Mensch unter Menschen sind, charakterisiert Rudolf Steiner die zwei Beziehungsgesten des Sozialen und Antisozialen (er bezeichnet sie direkt als Triebe), zwischen denen unser inneres Seelenleben im mitmenschlichen Umgang immer hin und her pendelt.

Es sind „eigentlich dieselben Kräfte, die uns morgens aufwachen und abends einschlafen lassen fortwährend im alleralltäglichsten Leben spielen und in ihrem Spiele mitverwirklichen das Soziale und Antisoziale„ (Steiner, Rudolf Vortr. v. 1918 „Die soziale Grundforderung unserer Zeit – In geänderter Zeitlage“ GA 186).
Das Aufwachen am anderen (antisozial) ermöglicht uns Selbstwahrnehmung sowie Selbstbewusstsein, sprich die persönliche Verortung in der Welt. Dadurch stellen wir uns dem anderen gegenüber, trennen uns ab. Das Einschlafen im anderen (sozial) erleben wir im wirklichen Zuhören, im vertieften Interesse. Wir ‚verlieren’ uns jedoch dabei immer ein stückweit im anderen.

Durch diese ‚Pendelbewegung’ findet das Erwachen der Individualität des Menschen statt – ein Leben lang. Zunächst durch Erziehung, später in Selbsterziehung.
In diesem Sinne verwirklicht der Mensch sein Menschsein über Beziehungsbewegungen: „Gegenüber kommt und entschwindet, Beziehungsereignisse verdichten sich und zerstieben, und im Wechsel klärt sich, von Mal zu Mal wachsend, das Bewußtsein des gleichbleibenden Partners, das Ichbewußtsein“. (Buber, Martin 1993 „Ich und Du“, Darmstadt)

Schauen wir nun auf das Kind im 9. Lebensjahr, so befindet es sich mitten in einem Prozess des Icherlebens welches ihm auf der Gefühlsebene vermittelt: „Ich bin allein, für mich, von allen anderen getrennt!“ Wie wir wissen, ist dieses Empfinden körperlich begleitet von einer Art Präpubertät und dem Einschwingen des Atem – Herzschlagrhythmus’ auf das Verhältnis 1:4.
Oft wird diese Phase von starken Ängsten begleitet; vor dem Leben überhaupt, einsam zu sein,
Verlierer zu sein. Fremdheitsgefühle treten auf und oft auch tiefgreifende Gedanken zum Tod. Gleichzeitig erwacht jedoch eine starke Sehnsucht nach Selbstwirksamkeit, Wertschätzung und Interesse am anderen wie der Welt.

Das seelische Spannungsfeld was sich dabei eröffnet, kann oft übermächtig werden, das Einsamkeitsempfinden so abgrundtief, dass junge Menschen ihren emotionalen Impulsen und dranghaften Antrieben wie ausgeliefert sind. Sie können dabei in Stereotypen verfallen aus denen heraus sie zwanghaft agieren. Dieser Prozess kommt während der eigentlichen Pubertät noch zu einer Steigerung.
Das innere Sehnen des jungen Menschen richtet sich dabei jedoch auf die Icherfahrung um das 16. Lebensjahr herum, wenn er erleben kann, “ich bin für mich selbst verantwortlich“ – „ich will für mein Tun einstehen!“

Die Mobbingspirale

Alle Entwicklungsübergänge bilden sich immer in der ganzen Klassengemeinschaft ab.
Das sensible Gemeinschaftsgefüge kann dadurch mächtig aufgewirbelt werden. Ebenso aber z. B. auch durch Lehrerwechsel, neu hinzukommende Schüler, Über- oder Unterforderung der Klasse.

EINE Form der Kompensation kann dann sein, dass ein oder zwei Schüler durch kleine Übergriffe und Gemeinheiten gegen irgendjemanden aus der Klasse die Belastbarkeit der Gemeinschaft testen. Wehrt sich der Betroffene erfolgreich, wird verteidigt oder leben in der Klasse „gute Gewohnheiten“ und Regeln, dann ist diese „Machtdemonstration“ gescheitert.
Kritisch wird es, wenn der Betroffene stark verunsichert „warum ich“ reagiert, keine Unterstützung erhält und die Akteure durch Mitläufer einen Wirksamkeitszuwachs erhalten.
Nun werden die Übergriffe heftiger, wenn auch noch verdeckt und man „schießt“ sich auf die betroffene Person ein. Wenn keine Intervention erfolgt, verdichten sich spätestens jetzt die einzelnen Aktionen zur „Mobbingspirale“. Die Machtdemonstrationen werden schamloser, offener und Ausgrenzung wird angestrebt. Gleichzeitig gewöhnt sich die Klassen an die Situation und die Übergriffe werden zunehmend (auch von Lehrern) als „normal“ erlebt –  „der war doch schon immer schwierig“.

Als letzte Konsequenz, wenn nicht eingegriffen wird, erfolgt der Weggang des Betroffenen aus der Klassengemeinschaft.
Die Folgen sind, dass die Klasse weiterhin extrem angespannt und gereizt bleibt und der Betroffene meist traumatisiert ist und „lernt“, Hilfe gibt es nicht!
Mobbing geht weiter, jemand anderes wird betroffen werden.
An dieser Stelle ist der Hinweis notwendig, dass es KEINE sogenannten „Mobbingtypen“, wie in der frühen Forschung angenommen, gibt. Die Evaluation zahlreicher Mobbingvorfälle hat ergeben, dass genau so oft gut in der Klasse integrierte, „cool“ gekleidete, redegewandte, sportliche Schüler betroffen sind wie Brille tragende, unsichere, verhaltensauffällige usw..

Eigenschaften werden im Verlauf des Mobbingprozesses „angedichtet“ und dienen im Nachhinein als Rechtfertigung. Sie haben primär mit der von Mobbing betroffenen Person nichts zu tun.

Wie erkenne ich ob Mobbing vorliegt? – die „als ob“ – Vorgehensweise

Wo hört der Spaß auf – fängt der Übergriff, die Schikane an?
Jeder Mensch hat seine eigene, individuelle Erträglichkeitsgrenze. Der Maßstab ist immer das subjektive Empfinden. So auch in Mobbingsituationen. Daher ist das Erleben des von Mobbing betroffenen Schülers immer ernst zu nehmen. Egal wie er sich verhält, er ist nicht selbst schuld an den verletzenden Attacken. Auch wenn er die Angriffe verschwiegen hat, sollten keine Vorwürfe gemacht werden: „Wir sind doch deine Eltern, dein Lehrer, uns kannst du doch vertrauen. – Wieso hast du dich denn nicht gewehrt? – Du hättest etwas sagen sollen!“ Die Angst davor, dass alles nur noch schlimmer wird und die sehr tief sitzende Scham bedürfen des allerumfassendsten Verständnisses und der aktiven Hilfe.

Um Mobbing zu identifizieren bedarf es der Interpretation, da die Vorgänge sich lange Zeit im Verborgenen abspielen! Das geht nur dort, wo Mobbing entsteht, in der Schule – und dort muss es auch gelöst werden.
Sobald ein ernster Verdacht im Raum steht, müssen Signale und Handlungen aus verschiedenen Informationsquellen zusammengetragen und im Kontext entsprechend gedeutet werden.
Man prüft quasi die Mobbingkriterien ab, ALS OB Mobbing vorläge.
Dabei sind die Signale oft die ersten Anzeichen – Leistungsabfall, Fehlzeiten, Verhaltens-änderungen können wichtige Hinweise sein. Dazu kommen erzählte, erfragte oder beobachtete Handlungen wie u.a. Beleidigungen, körperliche Angriffe, Sachbeschädigung und Cyber-Mobbing. Wichtig ist es dabei, alle verfügbaren Informationsquellen zu nutzen, sprich, zügig und initiativ sich in Gesprächen auszutauschen. Dabei geht man zunächst von den eigenen Informationen und Beobachtungen und eventuellen Berichten des betroffenen Schülers aus. Auch Mitschüler geben oft wertvolle Hinweise. Des Weiteren kommen Eltern, manchmal Hausmeister und Praktikanten in Betracht und als wichtiger entscheidender Baustein der fächerübergreifende kollegiale Austausch.
Auf diese Weise lässt sich meist sehr rasch herausfinden, ob tatsächlich eine Mobbingsituation vorliegt.
Was auf keinen Fall geschehen sollte, um eine Mobbingsituation aufzuklären ist, das Problem mit der ganzen Klasse zu besprechen und womöglich dabei auch noch die „Schuldigen“ herausfinden zu wollen! Wie oben beschrieben, ist das System Mobbing zu vielschichtig und man wird der Dynamik nicht gerecht, wenn man einige „Täter“ identifizieren und das Problem auf sie reduzieren wollte. Außerdem schafft das Klassengespräch eine Bühne für die Akteure, auf der sie sich weiter profilieren und die „Puppen“ tanzen lassen können.

Auch separate Elterninterventionen sind nicht hilfreich. Eltern verstehen in erster Linie erst einmal ihr eigenes Kind und das ist auch gut so, denn jedes Kind braucht in solch einer schwierigen, seelisch belastenden Situation seine Eltern im Hintergrund als Unterstützung im Lösungsprozess des Mobbingvorganges. Wenn Eltern untereinander Aktionen starten, Vorwürfe erheben oder einseitig bestrafen, feuern sie u. U. den Mobbingprozess weiter an. Hier kann der Lehrer eine gute Brückenfunktion einnehmen, indem er Sorgen, Berichte und Anliegen von Eltern verständnisvoll und offen aufnimmt – er benötigt sie ja auch zur Interpretation der Vorgänge. Anschließend sichert er zu, dass er sich, bzw. in Zusammenhang mit Verantwortlichen der Schule, um die Situation zuverlässig und erfolgversprechend kümmert. Entsprechende Informationen zur Vorgehensweise können, wenn notwendig, auf einem Elternabend gegeben werden.

Was erfolgt nun?

Die Evaluation verschiedener schulischer Mobbing-Interventions-Ansätze hat offengelegt, dass Interventionen die allein auf ein Schuld zuweisendes „Täter – Opfer“ Problem fokussieren, sich in der Praxis nicht bewährt haben.
Auch die Hauptakteure des Mobbings verdienen keine Ablehnung, jedoch unzweideutig jedes destruktive Verhalten.
Eindimensionale Vorgehensweisen lassen zudem die oben geschilderten Entwicklungsphänomene von Kindern und Jugendlichen außer Acht und prägen letztendlich auch wieder negative Erfahrungen statt Überwindungskräfte und neue Erlebnisse gelungener Gemeinschaftsbildung anzuregen. Zudem hat sich bei diesen Ansätzen wenig Nachhaltigkeit herausgestellt.

Der „No-Blame-Approach“ Ansatz als wirksame Mobbing-Intervention

Die Methode „No Blame Approach“ – ohne Schuldzuweisung ist eine in Deutschland noch junge und gleichzeitig zunehmend erfolgreich angewandte Methode Mobbing in der Schule zu begegnen. Der Ansatz wurde Mitte der 80er Jahre in England von den Psychologen Barbara
Maines und George Robinson entwickelt, später in der Schweiz aufgegriffen und von dort durch die Mediatoren Heike Blum und Detlev Beck (fairaend – Köln) nach Deutschland „importiert“. Das zentrale Merkmal ist, dass die Bezeichnung Täter – Opfer fallen gelassen wird und der Blick sich auf die ganze Klassengemeinschaft richtet. Dabei werden im Mobbingprozess mehrere Rollen beschrieben und berücksichtigt:  Akteure – Unterstützer – Mitläufer – Beobachter und die von Mobbing betroffene Person.

Die besondere Faszination dieser Methode liegt jedoch darin begründet, dass – trotz der schwerwiegenden Problematik – vollständig auf Schuldzuweisungen verzichtet wird. Vielmehr wird der „Teufelskreis von Mobbinghandlungen“ dadurch unterbrochen, dass im Rahmen der Mobbing-Intervention Schüler zur Mithilfe beim Beenden des Mobbings gewonnen werden.
Dabei ist es wichtig, dass der Lehrer den Lösungsprozess klar und strukturiert anleitet und deutlich signalisiert, dass er für die Vorgehensweise einsteht. Durch persönliche Ansprache bindet er vor allem die aktiv am Mobbing beteiligten Schüler sowie einige Mitläufer und eher Beobachtende so in den Lösungsprozess ein, dass sie motiviert und unterstützend an der Beendigung mitwirken.

Im ersten Schritt wird die Zustimmung der von Mobbing betroffenen Person für die geplante Vorgehensweise in einem vertraulichen Gespräch eingeholt und Zuversicht vermittelt, dass sich die schwierige Situation beenden lässt.
Das Herzstück des Ansatzes ist dann die sogenannte Helfergruppe für die Pädagogen, die aus 6-8 Schülern in oben geschilderter Zusammensetzung besteht.
In allen Schritten der weiteren Durchführung richtet sich der Blick darauf, konkrete Ideen zu entwickeln, die die Situation für den von Mobbing Betroffenen durch zukunftsorientierte (von den Schülern der Helfergruppe selbst gefundene und durchgeführte) kleine Maßnahmen und Handlungen so verbessern, dass er sich wieder in der Klasse wohl und angenommen fühlt, ohne dass geklärt werden muss, wer wann was getan oder nicht getan hat.

Damit ist der „No – Blame – Approach“ ein praktischer Interventions – und Handlungsansatz für die Schule, der die Tür für zukunftsorientierte persönliche Weiterentwicklung öffnet und Mobbing unter Schülern innerhalb kurzer Zeit konstruktiv beenden kann.  Er ist in allen Schulformen anwendbar und kann in einem breiten Altersspektrum eingesetzt werden.

Die ausführliche Evaluation dieses Ansatzes (durch fairaend) hat eine nachhaltige Erfolgsquote von über 80% ergeben und zeigt eindrücklich, dass sich gerade durch das Vertrauen auf die in den jungen Menschen selbst liegenden positiven Kräfte und Fähigkeiten, Einfühlungsvermögen und Eigenverantwortlichkeit herausbilden und stärken können.

Leid, Hilfslosigkeit und Schuldgefühle können dabei in Achtsamkeit, gesundes Urteilen und mutiges Handeln umgewandelt werden. Dadurch wird nicht nur ein gutes Miteinander in der Klasse gefördert, sondern auch das Lernklima für die Schülerinnen und Schüler verbessert.

Was kann ich als Lehrer weiterhin präventiv und stabilisierend tun?

Die gesamte Klassengemeinschaft im Hinblick auf besondere Anzeichen der Veränderung im Auge behalten.
Auf Unter- bzw. Überforderung der Klasse achten.
Sinnvolle, mit den Schülern gemeinsam erarbeitete Klassenregeln bezüglich des Umgangs miteinander einführen.
Niemals einzelne Schüler vor der Klasse „bloßstellen“ (auch wenn sie provozieren).
Sozialkompetenz, Verantwortungsübernahme und Selbstwirksamkeit der ganzen Klasse stärken z.B. durch:
– Zirkusprojekte
– Wald – und Wasserprojekte (Segeln)
– Erlebnispädagogik
– Sozialtrainings in der Klasse
– Einführung eines „Klassenrats“ (ab 4. Klasse)

Neben der Implementierung des „Klassenrates“ von Klasse 4 – 8 (auch weiterführend in der Oberstufe), ist die Ausbildung von Schüler-Mediatoren (ab 9. – 12. oder auch noch 13. Klasse) eine weitere sehr hilfreiche Einrichtung, um soziale Schlüsselqualifikationen wie Empathie, Toleranz, Solidarität, Kritikfähigkeit und gegenseitige Wertschätzung, um nur einige zu nennen, zu entwickeln.

Gemeinschaftsfähigkeit und Eigenverantwortung der Schüler werden dadurch gestärkt und nachweislich wirkt Schüler-Mediation präventiv gegen Mobbing.

Anmerkung: Um ein flüssiges Lesen des Textes zu ermöglichen, wurde die einseitig maskuline Schreibform verwendet.

 

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